Spanisches Dreamteam: Wie gehen ALBAs Chefcoach Israel González und Sportdirektor Himar Ojeda in die Playoffs? Im Gespräch verraten sie, wie man mit Humor und Vertrauen ein tolles Team baut, was sportliche Titel wirklich bedeuten und wer sie in dieser Saison am meisten überrascht hat.
Fotos: Andreas Knopf; Camera4
Himar, Israel, wir haben hier ein offensichtlich etwas älteres Foto. Ihr zwei etwas streng mit einem Jungsteam, aber beide in schicken Shorts. Wo ist das entstanden?
Israel González: Ich war aus Torrelavega in Nordspanien zum Sportstudium nach Gran Canaria gezogen und wollte auch dort weiterhin im Basketball aktiv sein. Mein früherer Coach empfahl mir Los Tiburones vom C.B. Salesianos de Las Palmas de Gran Canaria. Am ersten oder zweiten Tag an der neuen Uni sprach mich ein Kommilitone an. Er hieß Himar, trainierte bei den Tiburones ein U12-Team und bot mir an, mich beim nächsten Mal mitzunehmen. Und so wurde ich sein Assistenztrainer.
Himar Ojeda: Das war ein großartiger Zufall! Das Foto ist ein oder zwei Jahre später entstanden. Da stehen wir neben einer Schulmannschaft des Colegio Heidelberg, einer deutsch-spanischen Schule auf Gran Canaria mit toller Basketballkultur. Isra coachte das Team für ein Jahr lang, und ich war sein Assistent.
Das war vor knapp 30 Jahren. Hat sich Eure Beziehung seither sehr verändert oder seid Ihr den beiden jungen Coaches auf dem Foto immer noch ähnlich?
Israel: Wir haben uns immer toll verstanden und sehr viel miteinander kommuniziert. Abgesehen von unserer Freundschaft teilen wir dieselbe Idee von Basketball und denken sehr ähnlich – wir haben einfach sehr viele Dinge gemeinsam erlebt.
Himar: Wir haben uns schon sehr verändert. Aber wie Isra sagt: Wir haben so vieles gemeinsam erlebt und gelernt, das schweißt zusammen. All die Jahre waren wir nicht nur Freunde, sondern konnten darüber hinaus immer wieder zusammen arbeiten. Und das ist genial, es ist ein Traum.
Israel, was macht Dir am Coachen den meisten Spaß?
Israel: Die Preseason. Alle Spieler sind hochmotiviert, zu lernen – ohne über Ergebnisse oder Gegner nachzudenken. Das ist eine Phase, die ich als Coach sehr mag: Zeit zu trainieren und sich zu verbessern. Dafür ist während der Saison mit Bundesliga und EuroLeague nur selten Zeit. Außerdem mag ich es einfach, den Spielern dabei zuzusehen, wie sie sich entwickeln und Dinge ausprobieren, die sie noch nie gemacht haben. Das macht mich stolz.
Himar: Die Preseason ist purer Basketball. Trainieren, nur um sich zu verbessern – ohne Stress.
Was war für Euch die schönste Überraschung der laufenden Saison?
Israel: Dass man mich zum Headcoach gemacht hat! (lacht)
Himar:(lacht) Naja, schön war es schon, aber doch keine Überraschung! Isras Beförderung, von Aítos Assistent zum Headcoach von ALBA, war über Jahre geplant. Das ist alles andere als normal in diesem Geschäft. Der Prozess ist einzigartig in dieser Art.
Israel: Passt aber zu ALBA. Na gut, ich war etwas überrascht, wie leicht es uns fiel, relativ viele Spiele in der EuroLeague zu gewinnen. Aber dieses Team ist einfach sehr stark und gibt immer alles, ganz egal, gegen wen es geht. Ansonsten hat mich die tolle Leistung unserer jungen Spieler, Malte Delow und Jonas Mattisseck, im Pokal überrascht. Aber nein, „überrascht“ ist das falsche Wort – ich weiß ja, was sie können. Es hat mich einfach sehr gefreut, wie deutlich sie das gezeigt haben. Wie schnell sich Oscar da Silva am Anfang der Saison ins Team integrieren konnte und sofort abgeliefert hat, das war eine richtige Überraschung für uns. Im Großen und Ganzen läuft alles, wie ich es mir vorgestellt hatte. Und ich hatte hohe Erwartungen.
ALBA stand diese Saison zum fünften Mal in Folge im Pokalfinale und hat ihn zum elften Mal gewonnen. Was bedeutet Euch dieser Titel?
Israel: Mir war der Titelgewinn sehr wichtig, weil mir zu Beginn der Saison viel Vertrauen geschenkt wurde und ich so etwas zurückgeben konnte. Der Sieg fühlte sich allerdings sehr ähnlich an wie die Titel, die ich als Assistenztrainer mit ALBA gewonnen hatte – auch da hatte ich das Gefühl, dass mein Beitrag zum Team und zum Erfolg zählt. Diesmal musste ich mehr Interviews führen, das ist der große Unterschied.
Himar: Dieses Gefühl der Bestätigung der eigenen Arbeit war übrigens auch da, als wir die zwei Pokalfinals in Folge verloren hatten – auch wenn die Niederlagen schmerzhaft waren. Schon mit dem Finaleinzug wusste man, dass man einen guten Job gemacht hat.
Israel: Niemand verliert gern. Aber nach ein oder zwei Tagen merkst du: Du warst im Finale, und das ist ein Erfolg. Die Leute glauben immer, es geht nur ums Gewinnen. Aber oft ist Erfolg auch einfach nur, alles zu geben, was man in sich hat. Dafür bekommt man manchmal eben einen Pokal und manchmal nicht.
Himar: Natürlich bedeuten Titel den Fans und den Menschen außerhalb der Organisation etwas anderes. Darum geht es im Sport. Aber im Verein bewerten wir die Entwicklung von ALBA anders, und sie verläuft seit mehreren Jahren sehr positiv. Der Erfolg des großen ALBA-Projekts hängt von vielen Faktoren ab. Jede einzelne Person muss ihren Job so gut wie möglich machen. Isra wird das selbst so nicht sagen, aber es bestätigt natürlich auch, dass er perfekt zu unserer Philosophie passt, Spieler zu entwickeln und dabei konkurrenzfähig zu sein.
Jetzt geht ALBA vom ersten Tabellenplatz in die Playoffs. Wenn Ihr in den Best-of-Five-Serien so viel Zeit mit den gegnerischen Teams verbringt: Werden Euch die Gegner sympathischer oder könnt Ihr da gut eine sportliche Distanz halten?
Israel: Die Playoff-Serien sind hart umkämpft, es geht um jeden Punkt. Die Trainer versuchen, taktisch jede Kleinigkeit herauszuholen. Man beobachtet sich gegenseitig sehr genau – und ich versuche dabei, der bessere Trainer zu sein. Häufig wächst mit der Länge der Serie der Respekt vor dem gegnerischen Team, das stimmt.
Himar: Sympathischer werden sie aber nicht unbedingt. Manche Teams mag man vielleicht weniger als andere. Da freut man sich dann umso mehr, wenn man sie besiegt. Aber am Ende geht es in den Playoffs nur darum, zu gewinnen.
Bei der Midseason-Umfrage der easyCredit BBL bekam ALBA die meisten Stimmen in der Kategorie „Most fun to watch“, wie schon in der vergangenen Saison. Woran könnte das liegen?
Israel: Auf jeden Fall nicht an meinen Witzen. (lacht) Wir spielen schnellen Basketball und machen viele Punkte im Fastbreak. Kreativität ist wichtig dabei: Wir spielen nicht bloß feste Spielzüge, sondern ein System, das von den Spielern verlangt, die Partie zu lesen und sekundenschnelle Entscheidungen zu treffen. Ich glaube, es macht einfach Spaß, dabei zuzusehen und sich überraschen zu lassen. In der Offensive haben wir viel Bewegung abseits des Balles, passen viel. Das sind Punkte, die attraktiven Basketball ausmachen. Viele Teams laufen nur noch Pick-and-Rolls in der Mitte des Courts, passen ein- oder zweimal, und dann zeigen die Spieler im Eins-gegen-Eins ihre individuelle Klasse. Wir versuchen, diesem Trend etwas entgegenzusetzen, und spielen niemals egoistisch. Wir sind außerdem nicht das körperlich stärkste Team, aber das machen wir mit extremem Einsatz wett.
Himar: Der Coach gibt bei uns viel Kontrolle über das Spiel ab. Wir fördern die Spieler darin, Entscheidungen zu treffen und selbst das Spiel zu kontrollieren. Das ist eine mutige, aber auch riskante Art, Basketball zu spielen.
Israel: In einem System, in dem Spieler X immer von rechts zum Korb zieht, weil das seine Stärke ist, wird er nur noch das machen. In unserem System wird Spieler X manchmal von rechts, manchmal von links cutten. Spieler, die eigentlich nie zum Korb ziehen, werden sich plötzlich in Situationen finden, in denen sie freie Bahn haben. So haben alle die Möglichkeit, sich in jedem Spiel zu verbessern – und davon profitieren natürlich am meisten die Jüngeren im Kader.
Das Team ist in den letzten Monaten eng zusammengewachsen. Was begeistert Euch am meisten, wenn Ihr seht, wie die Spieler miteinander harmonieren?
Himar: Wenn die Jungs vor den Spielen ihre Handshake-Routinen machen und diesen Blödsinn. Wenn ich solche Momente sehe, weiß ich, dass die Spieler das Ganze genießen.
Israel: Es gibt jeden Tag Momente, in denen wir gemeinsam Spaß haben und uns amüsieren. Die Spieler lachen viel. Auch wir Coaches erleben ständig lustige Situationen – ohne dabei die Professionalität und den Fokus zu verlieren.
Himar: Im Sport gilt Spaß absurderweise oft als unprofessionell. Bei uns gilt das komplette Gegenteil. Das ist etwas Einzigartiges und uns sehr wichtig: Egal, ob wir gewinnen oder verlieren, wir werden 100 Prozent geben und dabei Spaß haben.
Israel: In so einer Bubble of Happiness muss man darauf vertrauen können, dass die Spieler sich trotz des Spaßes stets ihrer Professionalität bewusst sind. Deswegen sind uns die Charaktere bei Neuverpflichtungen so wichtig. Wir müssen keine strengen Regeln aufstellen, weil wir wissen, dass unsere Spieler diese Freiräume nicht ausnutzen und niemals Grenzen überschreiten.
Luke Sikma ist als Kapitän das Paradebeispiel, oder? Er hat so viel Spaß im Training und ist gleichzeitig ein hochprofessioneller Anführer.
Israel: Ohne Luke wäre diese Bubble of Happiness wohl nicht entstanden. Er verkörpert alles, was ich gerade beschrieben habe. Er ist ein Spitzenprofi, gibt immer 100 Prozent und vermittelt dem Team, was wir brauchen: Spaß im Alltag, damit man hochmotiviert zum Training kommt und Lust hat, sich zu verbessern und alles zu geben.
ALBAs Philosophie basiert auf Kontinuität und Entwicklung. Es gibt keine vorschnellen Konsequenzen, wenn jemand nicht sofort hohe Erwartungen erfüllt.
Himar: Diese Geduld mit den Spielern ist eine weitere Besonderheit in unserem Projekt. Wenn Spieler eine schlechte Phase haben oder sich nicht so schnell in das Teamkonzept einfinden, wird normalerweise die Verantwortung beim Coach gesucht. Bei uns ist auch der Coach Teil dieses Projekts, und wir folgen alle derselben Idee.
Israel: Der Schlüssel ist Vertrauen – in sich selbst und die Fähigkeiten der anderen. Wenn ein neuer Spieler zu Beginn der Saison wegen Anpassungsschwierigkeiten oder Verletzungen unsere Erwartungen nicht erfüllen kann, vertraue ich darauf, dass Himar in der Offseason eine gute Arbeit gemacht hat und bin geduldig.
Himar: Und ich vertraue auf die Arbeit der Coaches. Ich kann im Sommer möglichst gute Teile für die Maschine besorgen. Die Coaches müssen die Teile vielleicht noch etwas umbauen, bevor sie in die Maschine passen und den Motor zum Laufen bringen.
Himar, wenn Du auf der Suche nach neuen Spielern bist, sprecht Ihr beiden Euch viel untereinander ab?
Himar: Es ist mein Job, das ganze Jahr über ein Auge auf mögliche neue Spieler zu haben, Referenzen einzusammeln und sie kennenzulernen. Ich muss genau wissen, wie sie in unser System passen könnten. Dazu brauche ich natürlich immer wieder die Einschätzung der Coaches.
Israel: Im Sommer spricht er öfter mit mir als meine Frau. (lacht)
Himar: Wir machen das seit vielen Jahren. Wir wissen, was wir haben und was wir brauchen, und geben uns ständig Feedback. Wenn ich mir bei meinen Auswertungen absolut sicher bin und Isra mir dabei ein gutes Gefühl gibt, treffen wir Entscheidungen.
Findet Ihr noch Zeit, selbst Sport zu machen?
Israel: Als wir 2020 in der Meisterschafts-Bubble in München mehr als drei Wochen im Hotel festsaßen, gab es dort einen Golf-Simulator. Die amerikanischen Spieler spielten Golf, also fing ich auch an. Jetzt verbringe ich manchmal etwas Zeit auf dem Golfplatz hier in Pankow.
Hast Du schon einmal mit Luke gespielt?
Israel: Ja, aber der spielt auf einem ganz anderen Niveau. Er muss die ganze Zeit auf mich warten und mir Tipps geben. Ich spiele normalerweise mit Himar und Carlos (Frade, Individualtrainer, Anm. d. Red.).
Himar: Golf ist ein fesselnder Sport, wenn man endlich dazu kommt, ihn ausprobieren – und man ist an der frischen Luft, läuft herum und unterhält sich.
Wann habt Ihr das letzte Mal Basketball gespielt?
Israel: Manchmal spielen wir noch etwas Fußball. Das letzte Mal, dass wir beide gemeinsam Basketball gespielt haben, war wohl auf Gran Canaria in einer Altherren-Liga.
Wie würdet Ihr den Spielstil des anderen beschreiben?
Himar: Israel war ein aggressiver, schneller Verteidiger. Sehr physisch und mit viel Einsatz. Er war früher ein Athlet. Er hat ähnlich wie Jonas Mattisseck gespielt.
Israel: Himar war clever und schnell. Sehr gut im Fastbreak, er hat gute Entscheidungen getroffen. Er hat aber gespielt wie Juan Manuel López Itturiaga (spanische Basketballlegende aus den 1980ern, Anm. d. Red.). Himar ist un palomero, ein Cherrypicker. (lacht)