Nach dem kleinen Neuanfang im Sommer ist noch vieles ungewohnt beim Männerteam von ALBA BERLIN – auch nachdem die ersten Partien der neuen Spielzeit absolviert wurden. Himar Ojeda beobachtet sein Team in diesen Tagen genau. Wir haben im Vorfeld des ersten EuroLeague-Heimspiel mit dem ALBA-Sportdirektor über den neuen Kader, Verletzungen, Nachverpflichtungen und Hausdächer gesprochen. (Foto: Tilo Wiedensohler)

In unserem Offseason-Interview hast du erzählt, dass dich als Sportdirektor ein anstrengender Sommer erwartet. Wie zufrieden bist du mit dem neuen Kader? 

Es war ein langer Sommer für mich, weil wir einen kleinen Neuanfang wagen mussten. Ich hatte gehofft, dass wir Spieler wie Maodo, Jaleen und Luke halten können, mussten sie aber relativ spät ziehen lassen. Nach den Abgängen konnten wir dennoch einen Kader aus Spielern zusammenstellen, an die wir fest glauben. Auch wenn ich gerne ein paar mehr Spieler aus der letzten Saison gehalten hätte, kann ich also ein positives Fazit ziehen. In den vergangenen Jahren ist es uns immer wieder gelungen, dem Teamgefüge ein oder zwei neue Puzzleteile hinzuzufügen. Jetzt sind es eben ein paar mehr.
 
Was ist dein Eindruck von der Entwicklung der Mannschaft nach den ersten vier Spielen?

Unsere Vorbereitungsphase wurde extrem davon beeinflusst, dass einige Spieler wegen der WM erst spät zum Team gestoßen sind. Beim Testspiel gegen Pesaro am 20. September hatten wir zum ersten Mal den kompletten Kader beisammen – das ist gerade einmal drei Wochen her! Khalifa konnte wegen kleinerer Verletzungen nicht wie gewohnt trainieren. Žiga, Matteo und Gabriele waren lange bei der Nationalmannschaft, haben aber nicht viel Spielpraxis sammeln können und konnten so nicht wirklich in Form kommen. Wenn wir in unsere Vergangenheit blicken, haben unsere Neuzugänge aber ohnehin immer Zeit gebraucht, sich einzugewöhnen. Jetzt fehlen uns einige etablierte Spieler verletzt, die in einer perfekten Welt die Last von den Schultern der Neuankömmlinge nehmen würden. So ruhen bereits jetzt viele Erwartungen auf Spielern, die unseren Spielstil erst mal kennenlernen müssen.
 
Was war deine Reaktion, als du erfahren hast, dass Yanni und Khalifa für eine etwas längere Zeit ausfallen?

Es wird jetzt umso länger dauern, als Mannschaft den nötigen Rhythmus zu finden, und das auch noch während wir pro Woche mehrere Spiele absolvieren müssen. Das wird sich natürlich auf unsere Leistungen in den nächsten Wochen auswirken. Wichtig ist aber, wie wir am Ende der Saison performen. Abgesehen von der NBA gibt es kaum Teams auf professionellem Level, die bereit sind, einen Neuanfang zu wagen und langfristiger als eine Saison zu denken. Ich bin sehr froh, dass wir hier so arbeiten können. Wir wollen über einen längeren Zeitraum unseren speziellen Spielstil mit ganz bestimmten Spielertypen etablieren. Deswegen ist es wichtig, die Ruhe zu bewahren. Ich bin zuversichtlich, dass wir uns auf dem richtigen Weg befinden. 

Kurzfristig einen Center nachzuverpflichten kommt also nicht infrage? 

Intern messen wir die Zeit, die jeder Spieler im Laufe der Saison dem Training widmet. Khalifa hat in der letzten Spielzeit am meisten trainiert. Diese Statistik lässt uns darauf vertrauen, dass er nach seiner Rückkehr ein beständiger und verlässlicher Teil des Teams sein wird. Wir haben insgesamt sechs große Spieler: Khalifa, Yanni, JT, Tim, Justin und Krešimir. Dann haben wir noch Louis, der uns als Power Forward aushelfen kann. Deshalb denke ich nicht, dass wir zu wenige Frontcourt-Spieler haben. Das Problem ist, dass wir derzeit nur drei der sechs Spieler zur Verfügung haben. Das ist eine Situation, die man nicht vorhersehen kann.

In der Vergangenheit gab es öfter Nachverpflichtungen auf den großen Positionen. Diesmal ist die Lage anders?

Ich beobachte die Situation immer ganz genau. Wenn wir aber jemanden holen, der nicht in der Lage ist, in unseren Rhythmus zu finden, hat es keinen Sinn. Wenn wir jemanden nachverpflichten, muss es sich auf lange Sicht lohnen. Natürlich muss man auch mal kurzfristige Transfers tätigen, allerdings befinden wir uns noch nicht an diesem Punkt. Vielleicht bekommen jetzt auch unsere Jugendspieler mehr Chancen.  
 
Linus Ruf hat einen starken Saisonstart hingelegt und bei LOK BERNAU in jedem seiner drei Spiele 20 oder mehr Punkte gemacht. Ist er jemand, der jetzt seine Chance bekommen könnte?

Unsere jungen Spieler sollen nicht unvorbereitet Profispiele absolvieren. Um Selbstbewusstsein zu entwickeln und unsere Spielweise kennenzulernen, sollten sie vorher viel mit dem Profiteam trainieren. Linus hat die gesamte Vorbereitung mit uns mitgemacht, geht aber derzeit noch zur Schule und verpasst somit viele unserer Trainingseinheiten am Vormittag. Wir wollen seine Karriere voranbringen, allerdings nicht auf Kosten seiner persönlichen Entwicklung. Wir befinden uns deswegen im ständigen Austausch mit der Schule von Linus und loten unsere Möglichkeiten aus. Sobald er regelmäßig mit uns trainieren kann, wird er seine Chance erhalten – das ist unsere Philosophie.
 
Von welchem der Spieler, die aus der vergangenen Saison geblieben sind, erwartest du die größte Leistungssteigerung?

Khalifa, Louis, Johannes und Yanni werden alle einen Schritt nach vorne machen. Jonas, Malte und Tim müssen vor allem an Erfahrung und Konstanz gewinnen, genau wie Gabriele. All das ist Teil unserer Philosophie. Wir wollen den Spielern Raum geben, sich zu entfalten. Deshalb schauen wir uns nicht die Entwicklung nach drei oder vier Spielen an, sondern beobachten das über die gesamte Saison. Jetzt ist es einfach zu sagen, dass dieses Team nicht auf dem gewünschten Level in der EuroLeague spielen kann. Aber abwarten!
 
JT ist in dieser Saison Kapitän mit Jonas und Matt als Co-Captains. Was erwartest du von Matt, kann er für seine Mitspieler ein Vorbild und Anführer sein?

Spieler wie Matt kommen zu uns, weil sie erkennen, dass sie hier Konstanz und Sicherheit bekommen. Das ist etwas, was Matt in den vergangenen Jahren nicht hatte. Matt ist noch nicht mal 30, wird uns aber mit seiner großen Erfahrung unterstützen und uns in schwierigen Spielsituationen helfen. Es ist ein gutes Zeichen, dass das Team ihn als Co-Kapitän gewählt hat.
 
Wie ist der Stand bei Marcus Eriksson?

Sein Ausfall ist ein langer Prozess. Sich anderthalb Jahre mit einer Verletzung herumzuplagen, ist sehr schwierig – nicht nur für den Körper. Marcus ist während dieser Zeit immer wieder an einem Punkt anlangt, an dem die Erwartungen an seine Rückkehr größer wurden. Deshalb behandeln wir die Situation jetzt anders. Das hat Marcus mental sehr geholfen. Es gibt aber keine Timeline für seine Rückkehr. Wir werden ihn weiterhin bestmöglich bei seiner Reha unterstützen. Sobald er sich bereit fühlt, wird Marcus wieder spielen.

Was sind die EuroLeague-Ziele für diese Saison?

Alle erwarten immer etwas mehr als in der Vorsaison. Unsere Voraussetzungen haben sich im Vergleich zur letzten Spielzeit aber verändert. Wir haben ein neues Team, müssen die neuen Spieler integrieren. Trotzdem wollen wir grundsätzlich in jedem Spiel und mit jedem Gegner mithalten. Gegen Bayern haben wir trotz der schwierigen Umstände eine sehr gute erste Hälfte gespielt. Wir haben uns durch viel Einsatz im Spiel gehalten, auch wenn es München gelungen ist, uns am Brett zu bestrafen. Diese Energie wollen wir in jedem Spiel aufs Parkett bringen. Aber alles ist ein Prozess: Wenn man ein Jahr lang ein Haus baut, kann man sich nicht schon nach drei Monaten beschweren, dass es reinregnet, weil noch kein Dach da ist.