Nach der Meisterschaft ist vor dem Saisonstart. Im Interview erzählt ALBAs Sportdirektor von den Unwägbarkeiten in der Kaderplanung, einer neuen Berliner Stärke und was er von der neuen Spielzeit erwartet. (Foto: Camera4)

Himar, vor etwas über zwei Monaten wurde ALBA zum elften Mal Deutscher Meister im Finale gegen Bayern München. Mit etwas Abstand: Wie bewertest Du die vergangene Saison?

Wir mussten im Sommer 2021 einige Abgänge verkraften und haben uns dann dazu entschlossen, größtenteils auf sehr junge Spieler mit wenig Erfahrung in der EuroLeague zu setzen. Zudem haben wir unser Team einem Rookie-Headcoach anvertraut. Einige Monate später hatten wir die meisten EuroLeague-Siege in der Vereinsgeschichte eingefahren und das Double gewonnen! Das war eine sehr außergewöhnliche Saison.

Nach den Playoffs begann gleich die Offseason, für Dich normalerweise die stressigste Phase des Jahres, oder?

Stimmt, normalerweise ist das so. Dieses Jahr war es etwas anders: Beim Männerteam hatten wir alle Spieler noch unter Vertrag bis auf Tim – und mit ihm konnten wir uns schon zum Ende der Saison auf eine Vertragsverlängerung einigen. Dasselbe gilt für Israels neuen Vertrag. Beim Frauenteam kam dieses Jahr mit dem Aufstieg in die DBBL etwas mehr Arbeit auf mich zu.

Aber ich mache mich ja nicht erst in der Offseason auf die Suche nach einem möglichen Ersatz für einen Spieler – in diesem Fall für Oscar da Silva. In der Regel habe ich eine Reihe von Spielern über eine lange Zeit im Auge. Nach dem Saisonende ergibt sich dann manchmal die Möglichkeit, einen dieser Spieler zu verpflichten. So hat das dieses Jahr beispielsweise nicht nur mit Yanni Wetzell als Ersatz für Oscar geklappt, sondern auch mit Gabriele Procida und Žiga Samar als weitere Verstärkungen. Jede Offseason ist sehr stressig für mich, aber verglichen mit anderen Jahren war die Kaderplanung beim Männerteam diesen Sommer relativ entspannt.

Es gab allerdings auch diesen Sommer immer wieder Gerüchte darüber, dass ALBA-Spielern Angebote anderer Vereine vorgelegen hätten.

Das stimmt. Aber da hat sich bei ALBA etwas verändert. Das hat vermutlich vor einiger Zeit mit Luke Sikma und Marcus Eriksson eingesetzt: Früher hatten viele unserer Spieler das Gefühl, sie müssten die Angebote anderer namhafter Clubs annehmen und ALBA verlassen, um sich spielerisch weiterzuentwickeln und ihre Karriere voranzubringen. In den letzten Jahren haben häufiger Spieler, zum Beispiel eben Luke und Marcus, konkrete Angebote anderer Clubs abgelehnt und entschieden, langfristig bei ALBA zu bleiben. So war das auch diese Offseason: Alle drei Point Guards hatten konkrete Angebote vorliegen, wollten aber in Berlin bleiben. Das macht uns natürlich sehr stolz und zeigt, dass wir einiges richtig machen. Außerdem bin ich nicht mehr den ganzen Sommer lang so nervös. (lacht)

Oscar hat ALBA verlassen. Hältst du seinen Wechsel zum FC Barcelona für eine gute Entscheidung?

Ich habe ihm geraten, noch eine Saison bei uns zu bleiben, damit er sich bei uns unter weniger Druck weiterentwickeln hätte können – aber ich bin als Sportdirektor von ALBA offensichtlich voreingenommen. Ob der Wechsel die richtige Entscheidung war, weiß man zum jetzigen Zeitpunkt natürlich noch nicht. Es ist eine große Chance für ihn und er ist ein sehr cleverer und fleißiger Spieler. Er wird das Beste daraus machen.

Du wusstest schon im Laufe der Rückrunde, dass Oscar wahrscheinlich gehen würde. Der Rest des Teams hatte noch einen Vertrag für die kommende Saison oder war mit Dir in fortgeschrittenen Verhandlungen. Mit welchen Zielen bist Du in die spielfreie Zeit gegangen?

Zu Beginn des Sommers musste ich mich trotzdem für mögliche Abgänge wappnen. Wie bereits gesagt, einige Spieler hatten Angebote anderer Vereine erhalten und konnten sich bis zu bestimmten Deadlines entscheiden. In dieser Zeit musste ich mir für die möglichen Szenarien Optionen überlegen und mich nach potenziellen Neuverpflichtungen umschauen: Im schlechtesten Fall hätten wir ohne Point Guards dastehen können. In dieser Phase konnten wir beispielsweise Žiga Samar als starken jungen Aufbauspieler unter Vertrag nehmen. Hätten wir einen unserer Spielmacher in der Offseason verloren, wäre er jetzt schon kommende Saison in unserem Kader – so ist es aktuell für beide Seiten am besten, wenn er zunächst nach Hamburg verliehen wird.

Neben der Verpflichtung von Yanni Wetzell, der die Lücke schließt, die Oscar auf der Center-Position hinterlassen hat, konnten wir noch Gabriele Procida unter Vertrag nehmen und damit unseren Kader auf 15 Spieler erweitern. Das war eines meiner Ziele des Sommers. Wir haben letzte Saison mehr als 80 Spiele gespielt und hatten mit vielen Verletzungen zu kämpfen. Mit Gabriele sind wir breiter aufgestellt, sind flexibler auf den Guard- und Flügelpositionen und können unseren Spielern mehr Zeit zum Regenerieren ermöglichen.

Mit Yanni und Gabriele stehen in der kommenden Saison insgesamt neun Ausländer im Kader. In der Bundesliga müssten also immer drei von ihnen aussetzen. Yanni hat einen deutschen Pass beantragt, spielte das bei seiner Verpflichtung eine wichtige Rolle?

Yanni hat deutsche Wurzeln und den Pass vor über einem Jahr beantragt – wovon wir natürlich gegebenenfalls profitieren könnten. Wir haben jedoch keine Ahnung, ob es überhaupt klappt. In der Vergangenheit mussten wir aber nur selten entscheiden, wer unserer nichtdeutschen Spieler in der Bundesliga aussetzen muss – viel öfter haben die Spieler gespielt, die fit waren. Ich mache mir in dieser Hinsicht eigentlich keine Sorgen. Ich sehe es vielmehr als Chance, den Spielern in diesem engen Spielplan mehr Erholungsphasen ermöglichen zu können. Unsere Nachwuchsspieler können natürlich auch von dieser Situation profitieren und sich in der BBL beweisen.

Marcus Eriksson hat verletzungsbedingt seit Januar keine Partie mehr gespielt. Wie steht es um ihn in der kommenden Saison?

Bei seiner Art der Verletzung ist immer schwer vorherzusagen, wann er wieder fit ist. Wir werden sehen, ob er zur Preseason einsatzfähig ist oder ob er noch etwas Zeit braucht. Wir sind geduldig.

Als Fazit: Bist du zufrieden mit der Offseason?

Auf jeden Fall! Wir haben sehr viel Kontinuität im Roster und konnten uns zudem punktuell verstärken und den Kader vergrößern. Wie erfolgreich die Offseason dann am Ende war, kommt natürlich nicht nur auf uns an, sondern auch darauf, was die anderen Mannschaften unternehmen.

Was kann dieses ALBA-Team in der kommenden Saison erreichen?

Wir versuchen vor allem, uns auf uns zu konzentrieren. Wir wollen Spaß haben, attraktiven Basketball spielen und unseren Spielern die Möglichkeit geben, sich zu entwickeln. Was dann am Ende der Saison herauskommen wird, ist schwer vorherzusagen. Vor unserem Threepeat gab es einige Saisons, mit denen wir zwar sehr zufrieden waren, in denen wir aber keine Titel erringen konnten. Gewinnen ist großartig, aber wir definieren Erfolg anders: Wir wollen unserer Philosophie treu bleiben, uns kontinuierlich verbessern und immer unser Bestes geben. Zum vierten Mal in Folge Meister zu werden, wird eine riesige Herausforderung. Letzte Saison war es schon sehr schwer und da lief fast alles optimal. Die Erwartungen für die kommende Saison sind natürlich hoch, aber es wäre ein Fehler, unsere Definition von Erfolg nur vom Gewinn einer weiteren Meisterschaft abhängig zu machen.

Wie herausfordernd war die vergangene Saison für Israel González?

Wir hatten so viele schwierige Phasen letzte Saison: Verletzungen, Spielabsagen wegen Corona und dann der absurde Reiseplan wegen der Nachholspiele – und das in drei Wettbewerben gleichzeitig. Diese Herausforderungen als neuer Headcoach zu managen, ist schon eine enorme Leistung. Hinzu kommt, dass das Team unter seiner Führung letzte Saison nicht nur guten, sondern auch sehr, sehr erfolgreichen Basketball gespielt hat. Das ist schon fantastisch.

Welche Rolle kommt in dieser Saison unseren Doppellizenzspielern Nils Machowski, Elias Rapique, Rikus Schulte und Linus Ruf zu?

Wir setzen vor allem in der Preseason auf sie. Wir müssen aktuell davon ausgehen, dass unsere drei Aufbauspieler Maodo Lô, Tamir Blatt und Jaleen Smith bei der EuroBasket spielen werden und erst später zum Team stoßen. Dasselbe gilt für Yovel Zoosman und Johannes Thiemann. Zudem wird uns Malte Delow verletzungsbedingt fehlen. In dieser Phase werden unsere Doppellizenzspieler sehr wichtig sein. Während der Saison werden sie immer wieder beim Training dabei sein, sollten es ihre schulischen Verpflichtungen zulassen. Ansonsten werden sie vor allem bei LOK Bernau Spielpraxis sammeln und sich weiterentwickeln. Sie müssen geduldig und fleißig sein. Es ist eine andere Situation als vor einigen Jahren, als Nachwuchsspieler wie Jonas Mattisseck, Franz Wagner und später dann auch Malte den Sprung ins Profiteam geschafft haben. Damals hatten wir einen EuroCup-Kader mit zwölf Spielern, jetzt sind wir ein EuroLeague-Team mit 15 Spielern. Das Niveau ist mittlerweile deutlich höher und an dieses Niveau müssen sich unsere Jugendspieler herankämpfen. Es ist sowohl eine große Herausforderung für die Spieler, als auch für uns in der sportlichen Leitung, aber wir sind begeistert von unserem Nachwuchs und wir hoffen, noch viel von den Jungs zu sehen.

Nils Machowski ist der einzige Point Guard unter den Doppellizenzspielern. Wie wird Israel in der Preseason die Lücke auf der Spielmacherposition schließen?

Das wird eine spannende Herausforderung für unser Team. Wir werden sehen, wer diese Rolle vorübergehend übernehmen kann. Vor einigen Jahren spielte zum Beispiel Luke bei einem Turnier in Kroatien einige Partien auf der Eins. Zum Glück ist unser Spielstil wenig positionsgebunden. Bei uns bewegen sich alle recht frei und die Flügelspieler und Big Men übernehmen viel Verantwortung im Spielaufbau. Die Situation ist offensichtlich nicht ideal, aber das wird kein Problem für uns.

Zum Abschluss: Wer wird dieses Jahr die Eurobasket gewinnen?

Ehrlich gesagt, ich habe keine Ahnung. Viele Teams sind dieses Jahr sehr gut aufgestellt – auch der Kader des deutschen Teams sieht stark aus. Ich habe diesen Sommer noch nicht viele Spiele der Nationalmannschaft gesehen, aber ich hoffe, dass das deutsche Team diesmal lange mitspielen kann und das Maximale aus der EM im eigenen Land herausholt. Mein Tipp: Slowenien oder Griechenland. Man darf aber nie Spanien, Frankreich oder Serbien vergessen – ich kann es einfach gar nicht sagen. (lacht)

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