
Nach einer emotionalen und toughen Saison wollten wir via Instagram wissen: Was bewegt die ALBA-Fans? Innerhalb von 24 Stunden haben uns über 200 Fragen erreicht. Wir haben sie gesammelt, sortiert und gebündelt den beiden gestellt, die sie beantworten können: ALBA-Geschäftsführer Marco Baldi und ALBA-Sportdirektor Himar Ojeda. Hier im großen Fan-Interview sprechen die beiden nun offen über die vergangenen Monate, ordnen Entscheidungen ein und geben einen Ausblick auf das, was kommt.
Fotos: Jan Buchholz
Wie beurteilt ihr die Saison?
Marco Baldi: Das Beeindruckendste an dieser Saison war die Loyalität unserer Fans. Es mag wie eine Floskel klingen, aber wer in der Arena war oder das Team eng begleitet hat, weiß, wie es war: Unsere Fans haben uns in jedem Spiel unterstützt und durch jede Phase getragen, auch in den bittersten Momenten. Dieser Support war überragend. Ansonsten beurteile ich eine Saison immer danach, ob man das Maximum aus den eigenen Möglichkeiten herausgeholt hat – und da muss man ganz klar sagen: Nein. Dafür gibt es viele Gründe. Trotzdem war Aufgeben nie eine Option. Gerade in einer Saison, in der so viel schiefläuft, hätte man leicht den Kopf in den Sand stecken können. Das ist aber nicht passiert. Im Gegenteil: Bis zur letzten Sekunde haben wir versucht, das Ruder noch herumzureißen. Aber das Ergebnis hat nicht unseren potenziellen Möglichkeiten entsprochen. Das ist die Realität. Deshalb können wir mit der Saison sicher nicht zufrieden sein.
Wie arbeitet ihr die vergangene Saison auf? Welche Konsequenzen werden gezogen?
Himar Ojeda: Wir analysieren jede Saison – egal, ob sie gut oder schlecht läuft. Das ist die Basis für unsere Entscheidungen. Es geht dabei nicht um einfache Konsequenzen, so was wie: „Alle feuern!“ Wir bewerten die Dinge und treffen Entscheidungen, aber nicht überstürzt oder impulsiv. Wenn jetzt über den Sommer zum Beispiel Spieler gehen oder wir den Kader verkleinern, dann nicht nur weil die Saison schlecht war, sondern weil wir in der neuen Runde auch weniger Spiele haben werden. Es geht darum, die veränderten Rahmenbedingungen zu berücksichtigen und zu schauen, was wirklich nötig ist.
Wie reflektiert ihr kritisch euer eigenes Handeln? Habt ihr irgendwann an eurer eigenen Position oder Arbeit gezweifelt?
Himar: Natürlich. Wir reflektieren ständig, ob unsere Entscheidungen richtig waren. Aber es geht darum, den gesamten Prozess zu betrachten. Es gibt nicht die eine Entscheidung aus dem Bauch heraus – jede Entscheidung ist Teil eines Prozesses. Am Ende des Tages hätten alle von uns etwas besser machen können, aber das lässt sich hinterher natürlich sehr viel leichter sagen.

Haltet ihr am Alten fest oder gibt es einen Neuanfang?
Himar: Wir bleiben bei dem, was wir für richtig halten, und ändern das, was nicht funktioniert hat. Es wird also eine Mischung sein. Es war auch nie so, dass wir in den letzten Jahren nur an einem Weg festgehalten haben, wir haben in den letzten Jahren immer wieder Dinge verändert. Vieles davon hat gut funktioniert. Jetzt gibt es aber einige Umstände, die es erforderlich machen, dass wir manche Dinge neu denken oder anpassen müssen. Der Kern unserer Arbeitsweise bleibt aber bestehen, weil wir an ihn glauben.
Bleibt Pedro Calles der Chefcoach des Männerteams? Ist er der Richtige für den Umbruch im Team?
Himar: Ja und ja. Pedro ist nicht zufällig hier. Es ist kein Geheimnis, dass ich ihn schon früher zu uns holen wollte. Wir schätzen sein Profil sehr und glauben, dass er sich bei uns als guter Trainer noch weiterentwickeln kann. Er war ja bereits BBL-Coach des Jahres und ist kein Anfänger. Wir sind überzeugt, dass er nicht nur jetzt ein Gewinn für uns ist, sondern auch langfristig, weil er noch besser wird.
Geringerer Etat, keine EuroLeague: Wie wollt ihr den Kader trotzdem verbessern?
Himar: Wir werden tatsächlich ein anderes Budget und auch einen anderen Kader haben. Der Kader wird sich verkleinern, vermutlich von 15 auf zwölf Profis. Wir glauben, dass wir so ein gutes Team zusammenstellen können. Der Punkt ist nicht, ob wir mit weniger Geld bessere Spieler verpflichten können, das wird natürlich schwierig. Es geht darum, ein Team zu formen, das auch als Team funktioniert und dadurch besser performt.
Worauf liegt der Fokus bei der Kaderplanung? Noch mehr junge Spieler oder eher weniger?
Himar: Wir suchen die richtige Balance. Wir mögen junge Spieler und wollen ihnen Chancen geben. Aber unser Kader war in den vergangenen Jahren sehr jung, jetzt braucht es etwas mehr Ausgewogenheit. Und Spieler wie Malte oder Jonas, die sind ja mittlerweile schon erfahren, aber immer noch jung.

Wer bleibt, wer geht, wer kommt?
Himar: Norris Agbakoko kommt. Und sonst müssen wir erst mal abwarten. Wir haben diesen Sommer eine besondere Situation. Durch unseren Wechsel im internationalen Wettbewerb kann es sein, dass Spieler mit noch laufendem Vertrag den Club verlassen. Das ist nichts völlig Neues für uns, wird diesen Sommer aber etwas wahrscheinlicher passieren. Es wird ein langer Sommer für uns, bis das Team komplett steht und klar ist, wer kommt und geht. Da werden wir alle ein wenig Geduld benötigen.
Holt ihr Steph Curry?
Marco: Wenn er einen deutschen Pass bekommt, ja (lacht).
Welche Nachwuchsspieler können den Sprung ins Profiteam schaffen?
Himar: Wir haben natürlich einige talentierte Spieler in unseren Jugendteams, aber wir wollen auch nichts überstürzen. Durch die neue Situation mit den US-Colleges sind sie jetzt noch jünger. Und wir wollen Spieler nicht ins kalte Wasser werfen, wenn sie noch nicht bereit sind. Das wäre falsch. Wir werden weiter denselben Weg wie schon mit Malte Delow, Jonas Mattisseck, Tim Schneider, Elias Rapieque oder auch Franz Wagner verfolgen – ohne Abkürzungen und Hektik. Wir haben gute Nachwuchsspieler, und Ende des Sommers werden wir sehen, wer schon bereit ist.
Wie werdet ihr darauf reagieren, dass immer mehr junge Spieler ans US-College wechseln?
Himar: Das ist eine neue Situation, die nicht nur uns, sondern alle Clubs betrifft. Durch die sogenannten NIL-Regeln können Spieler:innen am College jetzt richtig viel Geld verdienen. Das macht das College-System quasi zur Profiliga. Deshalb braucht es aus unserer Sicht klare Regelungen, damit auch die ausbildenden Vereine fair eingebunden sind. Wer in die Entwicklung eines Talents investiert, sollte im Erfolgsfall daran beteiligt werden. So motiviert und stärkt man auch kleinere Vereine, weiterhin in Ausbildung zu investieren. Ein weltweites System, das Clubs absichert, wäre ein großer Schritt. Wir wollen Teil dieses Prozesses sein und uns für internationale Standards einsetzen.
Wie wird künftig der Übergang zwischen Jugend und Profis organisiert?
Himar: Mit unseren Spieler:innen und ihren Familien werden wir ganz offen zusammenarbeiten. Unser Ziel ist ihre Entwicklung zum Profi, ob über ALBA direkt oder über ein College. Wir wollen ihnen helfen, gute Entscheidungen zu treffen. Wenn Spieler:innen dann ans College gehen, wollen wir den Kontakt halten und sie auch währenddessen begleiten. Ziel ist es, so wie jetzt zum Beispiel bei Elias Rapieque, dass sie nach dem College zu uns zurückkommen können. Wir arbeiten bereits an den nötigen Strukturen dafür, hier und in den USA. Die Spieler:innen, die hierbleiben, werden wie bisher den Weg über unsere Jugend- und Kooperationsteams gehen.

Warum spielt ihr nicht mehr in der EuroLeague?
Marco: Die EuroLeague hat eine Entwicklung genommen, die wir nicht mehr stützen können. Es hat sich eine Zweiklassengesellschaft entwickelt: Es gibt oben die A-Lizenz-Clubs und unten dann diejenigen, die für ihre Teilnahme bezahlen müssen, aber nicht mitreden dürfen und auch nicht an den Einnahmen beteiligt werden. Wir sind deshalb nicht beleidigt, aber so können wir uns nicht weiterentwickeln. Die EuroLeague-Clubs verlieren momentan jede Saison irre viel Geld. Das ist nicht nachhaltig, wir können uns das weder wirtschaftlich noch strukturell leisten. Die Champions League bietet uns da mehr Perspektive.
Warum Champions League und nicht EuroCup?
Marco: Der EuroCup gehört zum Kosmos der EuroLeague. Wir sehen die Zukunft eher im Bereich der FIBA. Die FIBA organisiert die Champions League und arbeitet bekanntlich mit der NBA an einer neuen und einheitlichen Wettbewerbsstruktur in Europa. Wir wollen dort unseren Beitrag leisten, haben deshalb unsere Mitarbeit angeboten und den Wettbewerb gewechselt.
Ist die Teilnahme an der Champions League ein Zwischenschritt zur NBA Europe?
Marco: Das kann noch niemand genau sagen. Aber es gibt Pläne, mehr als nur Absichtserklärungen, dass die Champions League künftig eine Rolle für den FIBA/NBA-Wettbewerb in Europa spielen wird. Ich persönlich denke, es wird so kommen. Aber es ist schwierig, zu diesem Zeitpunkt konkret zu sein. Nicht aus Geheimniskrämerei, sondern weil es klug ist, wenn FIBA und NBA damit warten, bis alles durchdacht und bereit ist. Ansonsten wird vorher alles zerredet. Deshalb müssen wir uns alle in Geduld üben.
Pacers oder OKC?
Marco: OKC.
Himar: OKC.
Wie viele Wetten geht ihr in Bezug auf ALBAs internationale Zukunft ein?
Marco: Das ist keine Wette. Schon deshalb, weil die EuroLeague-Bedingungen für uns gar nicht darstellbar sind, das könnten wir nicht überleben. Als wir vor vielen Jahren angefangen haben, unseren Club nach vorne zu bringen, war uns immer klar, dass wir langfristig und nachhaltig gesund existieren wollen. Das werden wir nicht riskieren, um für zwei oder drei Jahre irgendwo dabei zu sein oder irgendetwas kurzfristig zu erreichen. Wir versuchen schon immer, vorauszuschauen und das Ganze so zu gestalten, dass man davon ausgehen kann: Es gibt auch noch ein Morgen und Übermorgen.

Was wird sich durch die Champions League ändern?
Himar: Das Format ist natürlich ein anderes, vor allem die Zahl der Spiele wird sich dadurch verringern. Das heißt auch, dass man vom ersten Spiel an performen muss – das ist wahrscheinlich die größte Veränderung. Gleichzeitig können wir dadurch auch wieder mehr trainieren, was in den letzten Jahren kaum möglich war. Das ist ein Vorteil und natürlich auch eine große Chance, wenn wir wieder langfristig etwas aufbauen und uns entwickeln wollen, so wie es zu unserer DNA gehört.
Werden wir die Champions League gewinnen?
Himar: Wir treten natürlich an, um den Titel zu gewinnen, aber wir respektieren den Wettbewerb. Viele glauben, dass wir automatisch Favorit sind, weil wir aus der EuroLeague kommen – aber so einfach ist es nicht. Man hat diese Saison gesehen, welche starken Clubs dabei waren: Malaga, Galatasaray, Teneriffa ... Diese Clubs kennen den Wettbewerb, haben ihn gewonnen oder schon mehrmals am Final Four teilgenommen. Für uns wird dagegen alles neu sein. Es wird also schwierig, aber wir werden alles versuchen.
Wie ist das Level in der Champions League im Vergleich zum EuroCup?
Himar: Das lässt sich jetzt noch nicht wirklich für die nächste Saison sagen, es hängt natürlich von den teilnehmenden Teams ab. In der Champions League muss sich fast jedes Team zuerst über die nationale Liga qualifizieren. Das heißt, dass die Champions-League-Teams in ihrer Liga normalerweise gut abgeschnitten haben und viel Qualität mitbringen. Aber auch im EuroCup gibt es einige gute Teams. Man muss abwarten.
Hertha oder Union?
Marco: Wir arbeiten seit Jahren in einer sehr erfolgreichen Kooperation mit den großen Berliner Profivereinen zusammen, deshalb müssen wir an dieser Stelle diplomatisch antworten – wir wollen ja, dass diese wertvolle gemeinsame Initiative auch künftig bestehen bleibt (lacht).

Bleibt ALBA in der Uber Arena? Was bedeutet das fürs Budget? Gibt es Alternativen?
Marco: Wir bleiben. Nur wenn es terminlich nicht passt, werden wir wie auch zuletzt in die Max-Schmeling-Halle ausweichen. Das versuchen wir aber möglichst zu vermeiden. Es gibt keine Alternative zur Uber Arena. Wir zahlen zwar so viel Miete für unsere Halle wie sonst kein Club in Europa, aber wir müssen auch sagen, dass wir in einer der besten Arenen spielen – das zeigen ja auch die vielen Top-Events im Basketball, die hier in den letzten Jahren stattgefunden haben.
Wird es irgendwann eine eigene Halle oder einen Campus geben?
Marco: Aktuell ist das nicht konkret in Sicht. Aber generell hat das Thema Infrastruktur für uns höchste Priorität. Gleichzeitig ist das kein kurzfristiges Projekt – so etwas braucht Zeit. Und neben Zeit brauchen wir auch die Unterstützung der Stadt. Ich bin optimistisch, dass wir eine Lösung finden.
Spielen die Frauen nächste Saison europäisch?
Himar: Wir haben uns sportlich nicht qualifiziert, das macht die Sache komplizierter. Es wäre vielleicht über Qualifikationsspiele möglich. Wir schauen deshalb gerade, ob das machbar ist. Wir wollen natürlich auch in Zukunft weiter national und international spielen. Wir prüfen die Optionen, aber wir müssen sehen, was wir leisten können.
Wie sieht die Kaderplanung im Frauenteam aus? Gibt es einen Umbruch nach dem einen oder anderen Abschied zum Saisonende?
Himar: Mit Stefi Grigoleit, Maggie Mulligan und Wiebke Schwartau haben uns drei Spielerinnen verlassen, das stimmt. Aber wir legen weiter Wert auf Konstanz und Kontinuität. Auf die Abgänge werden wir natürlich reagieren, durch neue Spielerinnen oder Vertragsverlängerungen. Das Erfreuliche ist, dass wir dabei nicht nur externe Verstärkung benötigen: Unser Mädchen- und Frauenprogramm bringt immer mehr eigene Spielerinnen hervor, die wir auf höchstem Level weiterentwickeln wollen. Es gibt einige spannende Talente, wie zum Beispiel Lilli Schultze oder Rosalie Esser. Wir wollen bewusst Platz schaffen, damit sie sich auch in der DBBL beweisen können, so wie wir es auch schon bei den Männern machen.
Was ist die Zielsetzung mit dem Männerteam für die neue Saison?
Himar: Wir wollen ein Team aufbauen und einen neuen Zyklus starten. Wir hatten eine lange, erfolgreiche Ära mit viel Kontinuität – jetzt beginnt eine neue Phase. Die kommende Saison sehen wir als Jahr eins dieses neuen Abschnitts. Unser Ziel ist es, ein konkurrenzfähiges Team zusammenzustellen, das sich langfristig entwickeln kann. Und hoffentlich wird dieser neue Zyklus dann genauso erfolgreich wie der letzte.
Was ist der Anspruch und die Vision für die Zukunft?
Marco: Wir wollen die Position, die wir uns über die Jahre erarbeitet haben, weiter festigen und ausbauen. Selbst in einem Jahr wie diesem, in dem wir es nicht bis ganz nach oben geschafft haben, werden alle wissen: Wenn ALBA kommt, kommt ein Topteam mit großen Ambitionen. So soll es auch in Zukunft sein. Und: Wenn die NBA mit der FIBA nach Europa kommt, wollen wir Teil davon sein. Das ist ganz klar unser Anspruch.
