Carlos Frade war lange selbst als Head- oder Assistant Coach an verschiedenen Orten aktiv. Seit 2017 fungiert er bei ALBA BERLIN als Individualtrainer und kümmert sich darum, dass sich die Spieler*innen der Männer- und Frauenmannschaften sowie der Jugendleistungsteams mit zielgerichteter Detailarbeit stetig individuell verbessern. Sich selbst versteht Frade dabei als Assistent und Hilfsgeber, denn: Im Vordergrund steht für ihn immer der Spieler an sich.

Text: Louis Richter

Carlos Frade betritt mal wieder als erster das Parkett der Mercedes-Benz Arena. Der 46-jährige Spanier macht ein paar Dehnübungen und schnappt sich dann einen Ball. Drei, vier Dribblings, dann stoppt er ab und nimmt einen Dreipunktewurf. Die Wurftechnik ist sauber, der Ball verlebt die für ihn wohl angenehmste Reise durch den Korb: Er rauscht durch das Nylonnetz, ohne sich am Ring zu stoßen. Es ist 17 Uhr an diesem 20. Januar, in gut zwei Stunden empfangen die Albatrosse die Basketball Löwen Braunschweig im MagentaSport BBL Pokal. Es geht ums Weiterkommen, um die Titelverteidigung, um das große Ganze. Aber: Zwei Stunden vor Tip-Off geht es noch einmal um Details.

Zu ALBAs Individualtrainer Carlos Frade haben sich mittlerweile auch Tim Schneider, Jonas Mattisseck und Malte Delow gesellt. Mit einem Mix aus einer Dribbling- und Pass-Übung erwärmen sich die Spieler, danach geht es um das Werfen aus dem Dribbling und das schnelle Reagieren. Malte Delow bekommt den Ball an der Dreierlinie, zieht mit zwei Dribblings in Richtung des linken Endes der Freiwurflinie und guckt hoch. Frade zeigt nach rechts. Handwechsel, Dribbling, zwei Schritte nach rechts, Dunk. Frade klatscht kurz in die Hände, danach beobachtet er jeden Schritt und jede Bewegung von Jonas Mattisseck, der auf Frades Handzeichen hin nach links dribbelt und als Reaktion auf ein weiteres Handzeichen einen Sprungwurf versenkt. 
 

Frade hat auf der ganzen Welt Inspiration gesammelt

„Das Ziel ist es, dem Spieler dabei zu helfen, einen Weg zu finden, wie er sich verbessern kann, und ihn dazu zu inspirieren, härter und vor allem effektiver an sich zu arbeiten“, erklärt Frade. Er versteht sich als Werkzeug, dass die Spieler nutzen können, um sich zu verbessern, denn der Spieler sei in der gemeinsamen Beziehung immer der Hauptakteur. Oberstes Gebot dabei: „Alles, was wir trainieren, muss auf das richtige Spiel übertragbar sein. Wenn der Spieler das Gelernte nicht in einem realen Fünf-gegen-Fünf anwenden kann, macht es keinen Sinn.“ Neben dem Arbeiten an den ganz individuellen Stärken und Schwächen der einzelnen Spieler steht das Lesen des Spiels und das erfolgreiche und unmittelbare Reagieren auf verschiedenste Spielsituationen im Fokus des Trainings.

Bevor Frade 2017 bei ALBA damit anfing, sich primär um den Basketballer als Individuum zu kümmern, arbeitete er in England, Lettland, Ungarn und Spanien für verschiedene Vereine als Assistant- und Head Coach. Zwischenzeitlich betreute er sogar die Nationalmannschaft Hongkongs. Als 14-Jähriger nahm er dabei seinen ersten Coaching-Job an – als Trainer einer Kindergruppe an seiner Schule in Spanien. Seit bald 30 Jahren ist der gebürtige Madrilene also als Coach aktiv: „Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich an so vielen verschiedenen Orten arbeiten und lernen durfte. Ich glaube, als junge Person ist es wichtig, sich auszuprobieren und verschiedenen Ideen nachzugehen“, blickt Frade zurück. „Ich konnte so viele verschiedene Perspektiven und Basketball-Philosophien kennenlernen und von überall etwas für mich und mein Leben mitnehmen.“ 
 

Pionierarbeit in Berlin

Wie zum Beispiel nach Berlin. Hier leistet Frade seit 2017 Pionierarbeit. Denn das Individualcoaching war bis dato in Europa kaum verbreitet: „Himar Ojeda hat diese Position während seiner Zeit in den USA kennengelernt, dort ist das schon deutlich weiterentwickelt. Als Head- oder Assistant Coach habe ich schon lange unterbewusst in dieser Rolle gearbeitet, ich wollte immer auch die einzelnen Spieler weiterentwickeln. Das hat mir großen Spaß gemacht“, sagt Frade. Erstmals in seiner Karriere füllt er diese Stelle nun in Vollzeit aus. Und das mit Leidenschaft. 

So definiert Frade gemeinsam mit jedem Albatros individuelle Ziele, für deren Erreichen in der Folge intensiv und extrem detailachtsam gearbeitet wird. So auch im Falle von Malte Delow: „Das große Thema bei mir ist der Wurf. Der ist noch nicht so stabil, wie er sein sollte“, sagt der 19-Jährige, der mehrmals pro Woche mit Frade trainiert. Der erstellte Videoaufnahmen von Delows Wurftechnik und zerlegte sie in die Einzelteile, um ihm möglichst genaues Feedback zu geben: „Bei mir geht es viel um die Hände. Darum, wie und wo der Ball in meiner Hand liegt und wie ich ihn hochführe. Carlos ist es beim Werfen generell wichtig, dass die Füße und Beine den Großteil der Arbeit machen. Dass man explosiv aus den Beinen den Wurf nimmt und nicht den Oberkörper zu sehr benutzt.“ 
 

Die Spieler sollen nicht nur mitmachen, sondern mitdenken

Delow selbst merkt, welche Fortschritte er seit dem Beginn der gemeinsamen Arbeit mit Frade bislang machen konnte: „Ich bin natürlich noch nicht fertig mit diesem Prozess, aber es ist definitiv deutlich besser geworden“, erzählt der Aufbauspieler. „Ich achte seit dem Beginn unserer gemeinsamen Arbeit auf ganz andere Dinge beim Werfen. Vorher ging es unterm Strich darum, ob der Ball drin ist oder nicht. Mittlerweile weiß ich, dass auch ein Fehlwurf ein sehr guter Wurf sein kann.“ 

"Es ist wichtig zu wissen, was der Spieler will" - Carlos Frade

Wichtig für den Erfolg bei der gemeinsamen Arbeit ist dabei auch, dass die Kommunikation offen und ehrlich in beide Richtungen verläuft. Frade schätzt es, wenn sich die Spieler einbringen und das Programm auch hinterfragen. Sie sollen nicht nur mitmachen, sondern auch mitdenken: „Carlos fragt regelmäßig nach, wie man sich mit dem Training und den Veränderungen fühlt, ob es so für einen selbst als Spieler auch Sinn macht. Wir reden auch oft nach den Spielen darüber, wie es sich in der Realsituation angefühlt hat“, erzählt Delow. Und Frade selbst sagt: „Es ist wichtig zu wissen, was der Spieler will, wie er sich selbst als Spieler einschätzt und was er kurz- und langfristig mit sich als Spieler vorhat. So können wir ihm am besten dabei helfen, diese Ziele zu erreichen.“
 

Das Alter spielt keine Rolle

Dabei ist es Frade extrem wichtig, mit jedem Spieler auch einen individuellen Umgang zu finden: „Mit einem Jonas Mattisseck arbeite ich anders als mit Luke Sikma. Das ist weder schlecht noch gut, aber es sind eben zwei verschiedene Spielertypen.“ Und auf das Alter, sagt Frade, komme es für ihn sowieso nicht an. So würden auch erfahrenere Spieler wie Marcus Eriksson („Er hat seinen Floater und sein Spiel in der Mitteldistanz klar verbessert“), Johannes Thiemann („Er ist mittlerweile ein besserer Finisher in Korbnähe und hat dazu auch seinen Dreier deutlich verbessert“) oder eben Luke Sikma konstant Fortschritte machen – weil sie es wollen: „Carlos hat mir vor allem dabei geholfen, mein Shooting zu verbessern. Durch unsere Zusammenarbeit bin ich ein deutlicher konstanterer Werfer geworden und habe eine bessere Balance in meiner Wurfbewegung“, sagt Sikma, der bereits in der Saison 2011/12 beim spanischen Zweitligisten UD La Palma mit Frade zusammenarbeitete: „Seine Arbeit spricht für sich. Er hat einen großen Anteil daran, dass sich die Spieler bei ALBA Jahr für Jahr verbessern. Die Energie, die er mitbringt, ist ansteckend und motiviert mich als Spieler, immer weiter an mir arbeiten zu wollen.“

"Carlos hat mir vor allem dabei geholfen, mein Shooting zu verbessern" - Luke Sikma

Und Ziele haben nicht nur die Spieler aus ALBAs Profikader. Denn Carlos Frade ist zusammen mit Davide Bottinelli, Assistant Coach und Individualtrainer von ALBAs Kooperationspartner LOK BERNAU, sowie den Coaches der DBBL-, WNBL-, NBBL- und JBBL-Teams der Albatrosse für die Planung und die Koordination des Individualtrainings in den jeweiligen Bereichen zuständig, sodass von den Profis bis zu den Jugendteams die gleichen Ziele verfolgt werden - bei Männern und Frauen sowie Jungs und Mädchen. Dazu arbeitet er gemeinsam mit dem sportlichen Leiter der Jugend, Raul Rodriguez, auch intensiv an der Aus- und Weiterbildung der Coaches im Verein: „Alle Coaches hier im Klub arbeiten extrem hart und mit sehr viel Freude. Sie machen das richtig gut“, sagt Frade.

Qualitativ hochwertiges Einzeltraining in allen Bereichen, das in letzter Konsequenz den kollektiven Erfolgen der einzelnen Mannschaften guttut – Carlos Frade hat dieses Programm bei ALBA erfolgreich implementiert und baut es immer weiter aus. Dementsprechend wird er auch weiterhin zwei Stunden vor Spielbeginn bei den ALBA-Profis als erster das Parkett betreten, damit im großen Ganzen zu keiner Zeit die Details aus den Augen verloren werden. Wenn der eigene Dreier dann noch per Swish durch die Reuse rauscht – umso besser.